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Nachbarschaft
Berlin/Marzahn
03.04.2018
Wer an Berlin-Marzahn denkt, assoziiert alles andere als einen Obstgarten mit alten Obstsorten oder einen Wasserspielplatz für die Kleinen. Man vermutet auch nicht, an einem Teich oder unter einer Pergola entspannen zu können. Doch genau solch einen Ort schuf die FORTUNA Wohnungsunternehmen eG mit Ihrem kiezPARK-Projekt auf 11.000 m² Fläche im nördlichen Teil Marzahns. Ein Rückblick auf mehr als fünf Jahre kiezPARK und über zehn Jahr soziales Engagement in Marzahn.
In den Jahren 1958 bis 1985 wurden in Berlin rund 35.000 Wohnungen vom Typ QP und von 1971 bis 1990 ca. 140.000 Wohnungen vom Typ WBS 70 errichtet. Fast 4.200 dieser Plattenbauwohnungen sind im Bestand der Wohnungsgenossenschaft FORTUNA. Davon liegen alleine 3.600 im Stadtteil Marzahn-Nord, der Teil der ab Mitte der 1970er Jahre errichteten Großwohnsiedlung Marzahn mit knapp 60.000 Wohnungen ist.
Im Jahr 2007 betrug der Wohnungsleerstand bei der FORTUNA 8,5 %, der Forderungsausfall lag bei 250.000 € und die Fluktuationsrate bei 8,8 %. Es musste also etwas passieren. Aber allein mit Fassadengestaltung, Modernisierung und Sanierung der Wohnungen war es nicht getan. Zwar führten diese Maßnahmen zu einer erheblichen Verbesserung der Zufriedenheit der Mieter, aber den Leerstand und die Fluktuation konnten sie nicht mindern. Vor allem fehlte es an einem Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Wohnungsunternehmen an den Standorten Berlin-Hohenschönhausen und Berlin-Marzahn.
2008 entwickelte die FORTUNA ein neues Leitbild, nach dem das Wohnungsunternehmen neu ausrichtet wurde: Als leistungsstarke Genossenschaft mit Verantwortung für die Zukunft wollte man sich an den Grundsätzen der unternehmerischen Sozialverantwortung ausrichten und dabei neben den Umweltbelangen vor allem die soziale Komponente in den Fokus rücken. Die konzeptionellen Überlegungen der FORTUNA-Vorstandes wurden durch eine Werbe- und Kommunikationsagentur begleitet.
Zur Stärkung des nachbarschaftlichen Miteinanders innerhalb der Mieterschaft entstanden viele kleine Einzelprojekte, die jedoch alle den gesamten Kiez einbezogen. Beispielhaft dafür sind das Nachbarschaftszentrum, die Renovierung der Fassade der Kindertagesstätte „Zwergenoase“, die Einrichtung eines Therapieraums in der Carl-Linné-Schule, das „Kiezmobil“, und die Unterstützung des Vereins „Der clevere Kiez e.V.“. Zum Herzstück dieser Nachbarschaftsoffensive wurde eine Internetplattform.
Für Projekte, bei denen es darum geht, soziale Verantwortung zu übernehmen, ist Kommunikation ein Schlüsselfaktor. Deshalb wurde im Jahr 2009 für die Projektsteuerung das sog. KiezNET (www.fortuna-kieznet.de) gegründet. Mit dieser Internetplattform, die gleichzeitig Projektsteuerungs- und Kommunikationsinstrument ist, gelang es, die Präsenz nach außen neu zu gestalten und alle Termin im Kiez zu bündeln. In der begleitenden Arbeitsgruppe mit 15 Mitgliedern waren das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf, u.a. die Stadträtin für Jugend und Soziales, Vertreter sozialer Akteure vom Jugend- bis zum Seniorenclub, die FORTUNA sowie die Agentur Layon GmbH vertreten. Eine hauptamtliche Mitarbeiterin steuerte das Teilprojekt. Der jährliche Etat des Projektes entsprach in etwa 2 % der Nettokaltmieten und betrug 240.000 € (Personalkosten ca. 55.000 €, Sachmittel ca. 20.000 €, Seniorenbeirat ca. 22.000 € sowie Aufwendungen für Spenden rund 140.000 €).
Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: 2009 sank der Leerstand von vorher 8,5 % auf 4,7 %, der Forderungsausfall von ehemals 250.000 auf 110.000 € und die Fluktuationsrate von 8,8 % auf 5,8 %.
Das Ziel vor Augen, die Nachbarschaften zu stärken, und eine der Thesen von Ferdinand Tönnies – einem der Gründerväter der Soziologie – von der „Gemeinschaft des Ortes“ aufnehmend, wurde beschlossen, zur Herausbildung und Förderung eine guten Nachbarschaft ein konkretes, örtliches Projekt in einem der Wohnquartiere umzusetzen. Im Zentrum des Marzahner Wohnungsbestandes der FORTUNA gab es an der Oberweißbachstraße eine kommunale Fläche, die im Rahmen des Stadtumbaus durch den Rückbau eines Doppelschulstandortes entstanden war und nun brachlag. Gleichzeitig zeigte ein in Leipzig vom Büro Su Schnorbusch Architekten durchgeführtes ExWoSt-Modellvorhaben im Forschungsfeld „Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere“ beispielhaft, dass partizipative Planungsverfahren zur Umgestaltung von Brachflächen helfen, gute und „grüne Nachbarschaften“ zu bilden.
Nutznießer des zu schaffenden gemeinschaftlichen Ortes – dem sog. KiezPARK – sollten die rund 2.800 Anwohner der 1.400 Fortuna-Wohnungen dieses Wohnquartiers werden. Profitieren sollten aber auch die Kita „Zwergenoase“, der Seniorenclub und das Gründerinnenzentrum HAFEN e.V., die in unmittelbarer Nachbarschaft der Fläche ihren Sitz haben. Da die avisierte Fläche den Mittelpunkt des Wohnquartiers bildete, entschloss sich die FORTUNA im Jahr 2010, Wünsche und Ideen aus der Bevölkerung zu sammeln, auszuwerten und in das Projekt kiezPARK einzubringen. Im Rahmen des Beteiligungsverfahrens wurde dann das Projektziel definiert, den ehemaligen Doppelschulstandort zu einem Ort der Erholung des Alltags umzugestalten. Mit der Aufwertung dieser Kernfläche sollte zugleich die Anbindung an die anliegenden Grünflächen, Sport- und Spielbereiche erfolgen, sodass ein Gesamtareal von 2,4 ha Fläche entstand (siehe auch DW 6/2012, S. 6).
In einem ersten Schritt erwarb die FORTUNA die Fläche vom Liegenschaftspool des Landes Berlin. In einem zweiten Schritt wurde ein Fördermittelantrag eingereicht, der die anteilige Finanzierung des Verfahrens und der Freiraumgestaltung sichern sollte. Im Gegenzug verpflichtete sich die FORTUNA, die Fläche öffentlich zugänglich zu halten und langfristig zu pflegen.
Nach erfolgter Zusage der Förderung im Herbst 2010 bildete sich eine Steuerungsgruppe aus Eigentümern und Fördermittelgebern, Moderatoren, Planern und Kommunikationsdesignern. Grundlage des Partizipationsprozesses bildete das ExWoSt-Modellvorhaben, dessen Methodik sich aus vier Bausteinen – Moderation, Planen und Bauen, Kommunikation im Projekt sowie „Celebration“ – zusammensetzt.
Zentral war ein alle zwei Wochen stattfindender, öffentlich zugänglicher Stammtisch, in dem die Planungsschritte gemeinsam mit dem Planern besprochen wurde. Hier wurde die Dokumentation organisiert und so aufbereitet, dass sie auf der Website und in Printmedien nachzulesen und am Sitz des Stammtisches nachzuverfolgen war.
Und die Um- oder Neugestaltung der Freifläche im Siedlungskontext der Großwohnsiedlung zeigte ihre Wirkung. Es gelang den Bauherren und Beteiligten, Bau- und Planungsphasen parallel ablaufen zu lassen. Der Umbauprozess konnte auf diese Weise gemeinsam erlebt werden und ließ unterschiedliche Einflussmöglichkeiten zu. So wurden im kiezPARK 2010 eine Streuobstwiese angelegt, 2011 erfolgte die großräumige Landschaftsgestaltung mit Wegen, Platz, Teich und Bachlauf, Wildwiesenhügeln, Staudenbeeten und Selbstnutzerfeldern. 2012 entstanden eine Pergola mit Gerätespinden und Bänken, Gartenzimmer mit WC, Küche und Lager sowie einem Wasserspielplatz für die Kinder.
Als dann im August 2012 die endgültige Eröffnung des kiezPARK gefeiert wurde, hatten insgesamt 32 Stammtische, 16 Workshops, vier Exkursionen, fünf Gärtnerseminare und neun weitere Veranstaltungen stattgefunden. Bei der Eröffnung, die große Resonanz erzielte, konnten die Besucher sich kreativ-spielerisch einbringen und aus vorgegebenen Wortbausteinen eigene Poesiesätze bilden. Es entstand z. B. Ein Satz, der das Lebensgefühl in grünen Nachbarschaften gut widerspiegelt: Mit Lachen im Herzen das Leben pflücken!
Quelle: DW 4/2018, Susanne Schnorbusch