Die Stellung der Vertreter und der Vertreterversammlung in dem Wohnungsunternehmen FORTUNA eG

von Prof. Dr. Jürgen Keßler, Berlin, 13. April 2022

Leitungsstrukturen der Genossenschaft

Vorstand - Leitungsorgan (§ 27 Abs. 1 GenG)
Aufsichtsrat - Kontrollorgan (§ 38 Abs. 1 GenG)
Vertreterversammlung - Grundlagenorgan (§§ 16, 48 GenG)
  • Die gesetzlichen Vorgaben zur Leitung und Aufgabenverteilung in der Genossenschaft sind zwingender Natur und können durch die Satzung oder Beschlüsse der Organe nicht abgeändert werden (§ 18 S. 2 GenG – formelle Satzungsstrenge). Dies dient im Wesentlichen dem Schutz der Mitglieder.
  • Im Unterschied zu den Kapitalgesellschaften (AG, GmbH) müssen alle Organmitglieder in Vorstand (§ 21 Abs. 1 S. 2 der Satzung), Aufsichtsrat (§ 24 Abs. 1 S. 3 der Satzung) und Vertreterversammlung (§ 31 Abs. 1 S. 2 der Satzung) Mitglieder der Genossenschaft sein.
  • Grundsatz der Selbstorganschaft und Selbstverwaltung in der Genossenschaft.
  • Anders als bei Kapitalgesellschaften (AG, GmbH) hängt die Geschäftspolitik der Genossenschaft nicht von den Interessen außenstehender Investoren ab, sondern wird allein von den Belangen der Mitglieder bestimmt.
  • Zweck der Genossenschaft ist die Förderung ihrer Mitglieder vorrangig durch eine gute, sichere und sozialverantwortbare Wohnungsversorgung (§ 2 Abs. 1 der Satzung).

Leitungsfunktion des Vorstandes

  • Der Vorstand leitet die Genossenschaft unter eigener Verantwortung (§ 27 Abs. 1 S. 1 GenG; § 22 Abs. 1 S. 1 der Satzung).
  • Zugleich vertritt er die Genossenschaft nach außen in Gemeinschaft mit einem anderen Vorstandsmitglied oder in Gemeinschaft mit einem Prokuristen (§ 24 Abs. 1 S. 1 GenG; § 22 Abs. 2 der Satzung).
  • Der Vorstand hat bei seiner Leitung (nur) die Beschränkungen zu beachten, die durch die Gesetze und die Satzung festgelegt sind (§ 27 Abs. 1 S. 2 GenG; § 22 Abs. 1 S. 2 der Satzung).
  • Der Vorstand ist folglich autonomes Leitungsorgan des Unternehmens.
  • Er ist an Beschlüsse und Weisungen anderer Organe nicht gebunden und nur der Satzung und dem Gesetz unterworfen.
  • Zweck der Regelung ist die Sicherung der wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit der Genossenschaft bei sich rasch verändernden Marktverhältnissen.

Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats

  • Der Aufsichtsrat ist kein Geschäftsführungsorgan, sondern ein Überwachungs- und Beratungsorgan des Vorstands.
  • Er hat den Vorstand bei dessen Geschäftsführung zu fördern, zu beraten und zu überwachen (§ 38 Abs.1 GenG; § 25 Abs.1 der Satzung). Die Rechte des Aufsichtsrates werden durch Gesetz und Satzung begrenzt (§ 25 Abs.1 S. 2 der Satzung).
  • Das Amt des Aufsichtsrats setzt die persönliche Unabhängigkeit sowie die fachliche Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder voraus.
  • Diese müssen spätestens im Zeitpunkt ihres Amtsantritts über die für das Amt erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen oder sich diese zeitnah verschaffen.
  • § 38 Abs. 1 Satz 2 und 4 GenG; § 25 Abs. 3 der Satzung
    Der Aufsichtsrat kann vom Vorstand jederzeit Auskünfte über alle Angelegenheiten der Genossenschaft verlangen und die Bücher und Schriften der Genossenschaft sowie den Bestand der Genossenschaftskasse einsehen und prüfen. Ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied kann Auskünfte nur an den gesamten Aufsichtsrat verlangen.
    Jedes Aufsichtsratsmitglied hat das Recht und die Pflicht, von den Vorlagen des Vorstandes Kenntnis zu nehmen.
  • § 39 Abs. 1 Satz 1 und 3 GenG; § 25 Abs. 2 der Satzung
    „Der Aufsichtsrat vertritt die Genossenschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern gerichtlich und außergerichtlich“.

Funktion der Vertreterversammlung

  • § 43 Abs. 1 GenG
    „Die Mitglieder üben ihre Rechte in den Angelegenheiten der Genossenschaft ausschließlich durch die Wahl der Vertreter aus, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt“.
  • § 43 Abs. 3 S. 1 GenG (§ 34 Abs. 3 Satz 1 der Satzung)
    „Jedes Vertreter hat – anders als bei den Kapitalgesellschaften (AG, GmbH) – (nur) eine Stimme“.
    Folglich, gibt es keine Vertreter (Mitglieder), bei denen das Stimmrecht von der Höhe der Kapitalbeteiligung abhängt.
  • Dies schützt die Genossenschaft und ihre Mitglieder vor der Beherrschung durch finanzstarke Investoren und gewährleistet das Selbstverwaltung- und Selbstbestimmungsrecht der Mitglieder.
  • An die Stelle der unmittelbaren Demokratie tritt bei größeren Genossenschaften wie der FORTUNA aus praktischen Erwägungen die mittelbare Demokratie durch Wahl der von den Mitgliedern aus ihren Reihen gewählten Vertreter.
  • Diese treffen in der Vertreterversammlung die der Generalversammlung zukommenden Entscheidungen an Stelle der Mitglieder.
  • § 43a Abs. 7 GenG (Mitgliederrechte)
    „Die Generalversammlung ist zur Beschlussfassung über die Abschaffung der Vertreterversammlung unverzüglich einzuberufen, wenn dies von mindestens einem Zehntel der Mitglieder oder dem in der Satzung hierfür bestimmten geringeren Teil in Textform beantragt wird.“
    Dies dürfte aber bei größeren Genossenschaften auf praktische Probleme stoßen (Raumkapazität !).
  • § 43a GenG; § 31 Abs. 10 der Satzung
    Eine Liste mit den Namen und Anschriften der gewählten Vertreter und Ersatzvertreter ist mindestens zwei Wochen lang in den Geschäftsräumen der Genossenschaft auszulegen und bis zum Ende der Amtszeit der Vertreter auf der Internetseite der Genossenschaft zugänglich zu machen.
  • Die Auslegung oder Zugänglichmachung im Internet ist gemäß § 43 GenG bekannt zu machen. Die Frist für die Auslegung oder Zugänglichmachung beginnt mit der Bekanntmachung. Auf Verlangen ist jedem Mitglied jederzeit unverzüglich eine Abschrift der Liste auszuhändigen, hierauf ist in der Bekanntmachung über die Auslegung der Liste nach Satz 2 hinzuweisen.

Erweiterte Minderheitenrechte durch die Genossenschaftsnovelle

  • § 45 Abs. 1 GenG; § 33 Abs. 4 S.1 und Abs. 5 S. 1 der Satzung
    Die Vertreterversammlung muss unverzüglich einberufen werden, wenn der zehnte Teil der Mitglieder oder der dritte Teil der Vertreter dies in Textform unter Anführung des Zwecks und der Gründe für die Einberufung verlangen. Mitglieder, auf deren Verlangen eine Vertreterversammlung einberufen wird, können an dieser Versammlung mit Rede- und Antragsrecht teilnehmen.
  • § 45 Abs. 1 GenG; § 33 Abs. 5 S. 2 der Satzung
    „Die teilnehmenden Mitglieder üben ihr Rede- und Antragsrecht in der Vertreterversammlung durch einen Bevollmächtigten aus, der aus ihrem Kreis zu wählen ist .“
  • § 45 Abs. 2 GenG; § 33 Abs. 4 S. 2 der Satzung
    Fordern der zehnte Teil der Mitglieder oder mindestens ein Drittel der Vertreter die Beschlussfassung über bestimmte zur Zuständigkeit der Vertreterversammlung gehörende Gegenstände, so müssen diese auf die Tagesordnung gesetzt werden.
    Das gilt allerdings nicht für Geschäftsführungsangelegenheiten, die alleine in die Zuständigkeit des Vorstandes fallen!

Einberufung der Vertreterversammlung

  • § 46 Abs. 1 GenG; § 33 Abs. 2 Satz 3, § 33 Abs. 3 der Satzung
    Die Vertreterversammlung muss mit einer Frist von mindestens zwei Wochen einberufen werden. Die Tagesordnung der Vertreterversammlung ist allen Mitgliedern der Genossenschaft durch Veröffentlichung im Internet unter der Adresse der Genossenschaft oder durch unmittelbare schriftliche Benachrichtigung bekannt zu machen.

Ankündigungsfrist

  • § 46 Abs. 2 GenG, § 33 Abs. 7 S. 1 der Satzung
    „Gegenstände der Tagesordnung müssen rechtzeitig vor der Vertreterversammlung durch eine den Vertretern zugegangene schriftliche Mitteilung angekündigt werden. Zwischen dem Tag der Vertreterversammlung und dem Tag des Zugangs der schriftlichen Mitteilung muss ein Zeitraum von mindestens einer Woche liegen.“
  • § 46 Abs. 2 GenG
    Unangekündigte Beschlussanträge aus der Vertreterversammlung heraus sind folglich nicht möglich. Diese bedürfen somit stets einer fristgemäßen Ankündigung, um eine ordnungsmäßige Vorbereitung der Vertreter zu ermöglichen.

Anträge zur Geschäftsordnung

  • § 46 Abs. 3 GenG
    „Zur Stellung von Anträgen und zu Verhandlungen ohne Beschlussfassung (Anträge zur Geschäftsordnung, Diskussionsbeiträge) bedarf es der Ankündigung nicht.“

Niederschrift (§ 47 GenG)

  • § 47 Abs. 1 S. 1 GenG; § 34 Abs. 7 S.1 der Satzung
    „Über die Beschlüsse der Vertreterversammlung ist eine Niederschrift anzufertigen“.
  • § 47 Abs. 4 GenG; § 34 Abs. 7 S. 8 und 9 der Satzung
    Jedem Mitglied ist die Einsicht in die Niederschrift zu gestatten. Ferner ist jedem Mitglied auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift einer Vertreterversammlung unverzüglich zur Verfügung zu stellen. Die Niederschrift ist von der Genossenschaft aufzubewahren.“

Rechte und Pflichten der Vertreter in der Versammlung

  • Teilnahmerecht und Teilnahmepflicht
  • Rede- und Auskunftsrecht (§ 37 der Satzung)
  • Stimmrecht (Wahlrecht)
  • Einberufungsrecht (1/3 der Vertreter - § 33 Abs. 4 S. 1 der Satzung)
  • Ankündigungsrecht (1/3 der Vertreter - § 33 Abs. 4 S. 2 der Satzung)

Zuständigkeit der Vertreterversammlung

  • Die Vertreterversammlung ist nach den Vorgaben des GenG kein Geschäftsführungsorgan.
  • Sie kann den Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats keine bindende Weisung erteilen.
  • Sie ist nach dem Gesetz folglich auf „Grundlagenbeschlüsse“ beschränkt.
  • § 48 Abs. 1 GenG; § 35 Abs.1 lit. b-d und f der Satzung
    „Die Vertreterversammlung stellt den vom Vorstand aufgestellten und vom Aufsichtsrat geprüften Jahresabschluss fest. Sie beschließt über die Verwendung des Jahresüberschusses oder die Deckung eines Jahresfehlbetrags sowie über die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats.
    Mit der Feststellung wird der Jahresabschluss verbindlich und zur Grundlage der Gewinnverwendung.
  • § 36 Abs. 1 GenG; § 35 Abs. 1 lit. g und h) der Satzung
    Die Wahl (und Abwahl) der Aufsichtsratsmitglieder liegt zwingend und unentziehbar bei der Vertreterversammlung.
    Dabei trifft die Vertreter eine besondere (Auswahl-) Verantwortung für die Unabhängigkeit sowie die fachliche Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder.
  • „Die Bestellung zum Mitglied des Aufsichtsrats kann auch vor Ablauf des Zeitraums, für welchen es gewählt ist, durch die Vertreterversammlung widerrufen werden. Der Beschluss bedarf einer Mehrheit, die mindestens ¾ der abgegebenen Stimmen umfasst“ (§ 36 Abs. 3 GenG; § 36 Abs. 2 lit. a der Satzung).
  • Die Abberufung bedarf zur Sicherung der Unabhängigkeit der AR-Mitglieder einer qualifizierten Mehrheit.
  • § 16 Abs. 1 GenG; § 35 Abs. 1 lit. a der Satzung
    „Eine Abänderung des Satzung kann nur durch die Generalversammlung festgesetzt werden“.
  • § 16 Abs. 2 GenG; § 36 Abs. 2 lit. b der Satzung
    Für (…) Änderungen der Satzung bedarf es einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen umfasst.
  • § 43a Abs. 6 GenG; § 35 Abs.1 lit. o der Satzung
    Die Wahlordnung bedarf der Zustimmung der Generalversammlung“.

Auskunftsrecht der Vertreter

  • § 37 Satzung
    Jedem Vertreter ist auf Verlangen in der Vertreterversammlung vom Vorstand oder Aufsichtsrat Auskunft über Angelegenheiten der Genossenschaft zu geben, soweit das zur sachgerechten Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. Die Auskunft hat den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen.
  • Die Auskunft darf verweigert werden, soweit:
    1. die Erteilung der Auskunft nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung geeignet ist, der Genossenschaft einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen (Geschäftsgeheimnisse);
    2. die Erteilung der Auskunft strafbar wäre oder eine gesetzliche, satzungsmäßige oder vertragliche Geheimhaltungspflicht (Datenschutz) verletzen würde;
    3. das Auskunftsverlangen die persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse eines Dritten betrifft;
    4. es sich um arbeitsvertragliche Vereinbarungen mit Vorstandsmitgliedern oder Mitarbeitern der Genossenschaft handelt;
    5. die Verlesung von Schriftstücken zu einer unzumutbaren Verlängerung der Vertreterversammlung führen würde.
  • § 37 Abs. 3 Satzung
    Wird einem Vertreter eine Auskunft verweigert, so kann er verlangen, dass seine Frage und der Grund, aus dem die Auskunft verweigert worden ist, in die Niederschrift aufgenommen werden.

Vertreterversammlung als Grundlagenorgan

  • Die Vertreterversammlung ist das für Satzungsänderungen allein zuständige Grundlagenorgan der Genossenschaft.
  • Diese Aufgabenzuweisung ist zugleich Ausdruck genossenschaftlicher Selbstverwaltung und genossenschaftlicher Verbandsdemokratie.
  • Die Vertreterversammlung hat demgegenüber keine Zuständigkeit im Rahmen der Geschäftsführung. Diese liegt zwingend allein beim Vorstand.

Wahl der Vertreter

  • § 43a Abs. 2 GenG; § 31 Abs. 1 der Satzung
    „Als Vertreter kann jede natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person, die Mitglied der Genossenschaft ist und nicht dem Vorstand oder Aufsichtsrat angehört, gewählt werden.
  • Die Regelung ist zwingender Natur und einer Gestaltung durch die Satzung nicht zugänglich.
  • Die Wählbarkeit zur Vertreterversammlung kann folglich durch die Satzung weder eingeschränkt noch erweitert werden.

Stellung der Vertreter

  • Vertreter sind ehrenamtliche Organe der Genossenschaft; sie sind bei Ihren Beschlüssen an das Gesetz und die Satzung gebunden.
  • Als solche treffen sie ausgeprägte Treuepflichten gegenüber der Genossenschaft, ihren Organen und ihren Mitgliedern.
  • Sie sind stets den unternehmerischen Interessen der gesamten Genossenschaft verpflichtet.
  • Als Unternehmensorgane haben sie bei allen Entscheidungen das Unternehmensinteresse, insbesondere den Fördergrundsatz und den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Mitglieder zu beachten.
  • Vertreter sind nicht ausschließlich Repräsentanten ihres Wahlkreises oder ihrer Wähler. Sie sind als Unternehmensorgane stets den Interessen der gesamten Genossenschaft verpflichtet.
  • Im Rahmen der Beschlüsse der Versammlung handeln sie unter eigener Verantwortung und unterliegen keiner Weisung.
  • Sie haben bei der Erfüllung ihrer Aufgaben ihrerseits die Bindung durch die Satzung sowie die gesetzliche Zuständigkeitsordnung bezüglich der Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat zu beachten.
  • Die Vertreter sind keine Außenvertreter der Genossenschaft im Verhältnis zu den Mitgliedern oder Dritten.
  • Sie üben Ihre Befugnisse folglich ausschließlich in der Vertreterversammlung aus (§§ 43 Abs.1, 43a GenG).
  • Ihnen obliegt nicht die Entgegennahme und Nachprüfung von Beschwerden der Mitglieder und Mieter.
  • Sie sind zur Abgabe von Erklärungen im Namen der Genossenschaft nicht befugt.
  • Vertreter tragen durch ihre Entscheidungen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg der Genossenschaft bei.
  • Dies gilt sowohl für die Satzungsgestaltung, die Entscheidung über die Gewinnverwendung als auch insbesondere für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder.

Quelle: Prof. Dr. Jürgen Keßler, www.htw-berlin.de

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