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29.06.2011

Kleine Grenzlandgeschichten - Kommt her, Ihr Berliner!

Es ist eine uralte Überschrift aus der ehemaligen Neumark, die nun über 70 Jahre später im heutigen polnischen Lebuser Land endlich Wirklichkeit werden kann. Es war also kein Zufall, dass ich vor rund zwei Jahren auf die Idee kam, ausgerechnet mehrere Artikel über die Region direkt östlich von Berlin bis weit hinter die polnische Grenze zu schreiben. Es waren die außergewöhnlichen landschaftlichen Schönheiten, die unzähligen geschichtlichen Ereignisse und Bauwerke im „Lebuser Land“, die mich immer wieder bewegten. Diese Thematik beschäftigt mich seit über vierzig Jahren. So lange Zeit unterhalten wir persönliche Beziehungen zu guten Freunden im Nachbarland. Für die Mehrzahl der Menschen diesseits der Oder blieb diese Gegend über Jahrzehnte hinweg weitestgehend unbekannt und nahezu unerreichbar. Inzwischen sind neue Verhältnisse entstanden, die es ermöglichen, sich frei zu bewegen, um Land und Leute kennen zulernen. Diesem Anliegen wollte ich gern meine Zeilen widmen. Einige Leser unserer Zeitung haben uns mitgeteilt, dass unsere Tipps gern angenommen wurden. In diesem Sinne sollen Ihnen auch die heutigen Zeilen dienlich sein und Sie mit weiteren Möglichkeiten für Ausflüge, Tagestouren oder Reiseziele bekannt machen.

Ein Treffpunkt der besonderen Art

Beginnen wir unsere Ausfahrt am ehemaligen Grenzübergang Küstrin (Kostrzyn). Unser Nachbarland bietet heute viele Ausflugsziele. Schon bevor man die Oder überquert wird aus der Ferne rechts in Polen ein hohes Mauerwerk sichtbar, das nur wenigen Besuchern genauer bekannt ist, obwohl sich dahinter ein beeindruckender kulturhistorischer Ort befindet. Es ist die Ruine von Schloss und Festung Küstrin. Probieren Sie solch eine Fahrt als Tagestour doch einfach einmal aus. Man ist gut beraten, sich im Internet bereits vor Reiseantritt etwas genauer mit den Daten zur Festung bekannt zu machen. Diese Geschichte beginnt spannungsgeladen im 15. Jahrhundert und wer es möchte, den begleitet sie bis zum Ende des 2. Weltkrieges, als Küstrin nochmals zur Festung wurde. Als solche erhielt sie bei den Kämpfen um Berlin eine Schlüsselposition, womit es zur Schlacht um die Seelower Höhen kam. Durch die Festlegungen des Potsdamer Abkommens und aufgrund der geografischen Lage wurde diese Stadt geteilt. Küstrin-Kiez ist heute deutsch und Kostrzyn gehört zu Polen.

Das Lebuser Land, eine der allerschönsten Regionen Westpolens

Es ist egal, von wo aus man in diese Lubuskie Region startet. Man sagt von ihr, dass es sich hier um eine der landschaftlich, geschichtlich und wirtschaftlich schönsten wie auch interessantesten Regionen Westpolens handelt. Der wertvollste touristische Reiz des Lebuser Landes liegt in den unendlich erscheinenden herrlichen Waldgebieten und Seen. Mit ihrer Waldfläche belegt die Region den ersten Platz in ganz Polen. Hervorzuheben ist das seit Jahrhunderten andauernde Verschmelzen der Kulturen und Traditionen. Lubuskie zählt heute zu den fünf saubersten Regionen des Landes. Flächen mit besonderen natürlichen Eigentümlichkeiten machen immerhin 37 Prozent des Lebuser Landes aus. Die wertvollsten Gebiete gehören zu den fünf Naturreservaten bzw. sieben Landschaftsparks. Unweit von Küstrin befindet sich das Vogelschutzreservat Slonsk. Es liegt in der Gabelung zwischen den Flüssen Warta und Postomia und ist ein wichtiges ornithologisches Zentrum. Hier leben einige hundert Vogelarten, darunter 174 Brutarten.

An der Hauptstraße Nr. 24 nach Poznan findet man verschiedene Beobachtungsstellen. Oftmals wird diese Region wegen der vielen Seen mit der masurischen Seenplatte – dem Land der tausend Seen – verglichen. Und tatsächlich ist das bei über 500 vorhandenen Seen kaum übertrieben. An ihren Ufern sind inzwischen Ortschaften und Erholungszentren entstanden. Sie alle warten auf Touristen, Wanderer, Wassersportler, Angler und Reiter – alle sind herzlich willkommen. Zahlreiche ausgeschilderte Touristenwege für Wanderer, Reitschulen und Reitzentren, Radwege und sogar Kajakstrecken stehen zur Verfügung. An den Seen sind zahlreiche Segelklubs und Yachthäfen entstanden. Durch die Region Lubuskie führt ein europäischer Radweg R-1, sowie viele andere internationale Radtouren. Entsprechende Karten sind örtlich erhältlich.

Der Zauber ist noch da und zu entdecken! Mein Geheimtipp für Sie

Ich war erneut unterwegs um weitere schöne Fleckchen der „Ziemia Lubuska“ (dem Lebuser Land) für Sie zu entdecken. Diesmal war ich auf der Suche nach einem reizvollen Fleckchen Erde, der dazu einlädt ein paar Tage zu verweilen, um von da Erkundungstouren zu unternehmen und zugleich die Schönheiten und Bequemlichkeiten des Ortes zu genießen. Dieses Gebiet, so kann man es heute zunehmend wieder lesen, hat sich bis heute etwas von seiner Ursprünglichkeit, von seinem Zauber bewahrt. Bereits 2003/2004 erklärte sie der Internationale Bund der Naturfreunde zur grenzüberschreitenden Landschaft des Jahres. Um diese Zeit schien diese Gegend noch im Dornröschenschlaf zu liegen. Inzwischen hat sich sehr viel verändert. Heute ist das Lebuser Land bereits ein begehrtes Reiseziel. Und wer da suchet, der findet! Ich bin für Sie fündig geworden und hier ist mein Geheimtipp: Es lohnt sich die etwa 22.000 Seelen zählende Kreisstadt Swiebodzin (Schwiebus) mit ihrer Stadt und Landgemeinde (25 Orte) zu besuchen. Sie ist zugleich Partnerstadt von Neuenhagen bei Berlin und liegt knapp 70 km von Frankfurt/Oder entfernt an der Landesstraße Nr. 2 nach Posen (Poznan). Unweit der Stadt verbirgt sich in dem winzigen Dörfchen Ojerzyce/Oggerschütz) – in den Mauern eines ehemaligen Herrenhauses aus dem 19. Jahrhundert – das Parkhotel „Clara“. Es erwartet Sie ein wunderbares Haus inmitten herrlicher Natur der Lebuser Seenplatte. Die idyllische Lage lädt zum Verweilen ein und lässt den Stress des Alltags sofort vergessen. Wer sich für alte Ortsgeschichte interessiert, ist hier gold richtig. Klangvolle Namen wie z.B. die Familie Knobelsdorf zeichnen bis heute Spuren und gehen zurück bis ins 16. Jahrhundert. Peter Ohlig aus Rüdesheim am Rhein erwarb letztlich die komplette Anlage mit Park und landwirtschaftlichen Einrichtungen. Insgesamt ist das Grundstück ca. 8 Hektar groß. Hotelfachmann Ohlig lässt sein Hotel heute von einem deutsch-polnischen Duo erfolgreich führen. Gute und viel gelobte Küche, guter Service und die hervorragende Weinkarte prägen die Garantiesiegel des Aufenthaltes. Vielgestaltig und sehr abwechslungsreich sind die Möglichkeiten für Erkundungstouren in der Umgebung. So sind es etwa 20 km bis zur slawischen Burganlage Miedzyrzecz (Meseritz). Ganz in der Nähe erwartet das ehemalige Zisterzienser-Kloster Paradyz, um 1230 erbaut, seine Besucher. Ebenfalls in unmittelbarer Nähe ist die gigantische, unterirdische Festungsfront des Oder-Warthe-Bogens, der so genannte „Ostwall“ zur Besichtigung bereit, um nur einiges aufzuzählen. Hier lohnt sich eine Entdeckungstour in jedem Fall, vor allem abseits der großen Straßen, in kleinen Dörfern, in Wäldern oder in der Puszcza Rzepinska, der Reppener Heide. Die „Ziemia Lubuska“ hat sich mir erneut als ein wunderbares und reizvolles Fleckchen Erde unweit Berlins erwiesen. Christine Hellert schrieb bereits 2010 in der Zeitschrift Landsicht den wunderbaren Schlusssatz in ihre Reportage: „Dornröschen ist noch nicht richtig wach geküsst. Der Zauber ist noch da und zu entdecken!“

Die größte Christusstatue der Welt wurde 2010 in Swibodzin (Schwiebus) errichtet

Diese neue Sehenswürdigkeit steht heute im deutsch-polnischen Grenzgebiet und soll mehr sein als ein architektonisches Glaubensbekenntnis. Polen, insbesondere die Region Lubusko, erhofft sich dadurch eine deutliche Zunahme der Pilger- und Städtereisen in Swiebodzin. Damit stellt die Stadt den brasilianischen Konkurrenten Rio de Janeiro zumindest diesbezüglich weit in den Schatten. Die Christusstatue in Polen misst stolze 36 Meter. Zählt man den aus Felsen geschaffenen Aufbau dazu, beträgt die Gesamthöhe deutlich über 50 Meter.

Eine außergewöhnliche Sehenswürdigkeit: 32 km Bunkerlabyrinth – Sinnloser Wahnsinn

Erst seit wenigen Jahren ist das ehemalige Bunkersystem des sogenannten Ostwalls am Oder-Warthe-Bogen bei Miedzyrzecz auf Teilstrecken für Touristen freigegeben. Es ist eine körperlich anspruchsvolle und mitunter beklemmende Tour in einer unterirdischen Parallelwelt gigantischen Ausmaßes. Gut eine Autostunde von Frankfurt Oder entfernt, hatte das Deutsche Reich bereits ab 1934 diese Festungsanlage mit unterirdischem Bunkersystem errichtet. Das Labyrinth auf damals deutschem Gebiet ist 32 km lang und bis auf den letzten Kilometer über Bahngleise erreichbar. Noch heute können Besucher ein Teilstück des Weges auf einer Draisine zurücklegen. Die stellenweise 4 Meter hohen Wände sind aus anderthalb Meter dickem Stahlbeton. Auf Treppen geht es für die Besucher zunächst 30 Meter in die Tiefe dieser Unterwelt. Hitler hat den Monsterbau nach vielen hundert Millionen sinnloser Investitionen noch in den dreißiger Jahren verworfen und sich danach auf den „Westwall“ konzentriert. Bei einer Führung gibt es ausführliche Informationen und Infoblätter.

Schöne Erlebnisse, neue Bekanntschaften, viel Freude und Spaß wünscht Ihnen Claus Plobner

Literaturhinweis: Wenn Sie für die Thematik Lebuser Land Interesse zeigen oder es bereisen möchten, dann ist die Reisebeschreibung „Ausflüge östlich der Oder“ Lagow im Lebuser Land und Umgebung von Jörg Lüderitz der beste Wegbegleiter. Erschienen im Verlag Bock und Kübler. Erhältlich in jeder guten Buchhandlung.

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